
Diesem Ende
wohnt kein Zauber inne
Kein Mut, keine Kraft, keine Idee.
Wie sich das einst legendäre Design des Suhrkamp Verlags
im Jubiläumsjahr präsentiert.
Was muss das 1959 für ein Strahlen in den Regalen der Suhrkamp-Koje auf der Buchmesse gewesen sein, als die ersten Bände der Bibliothek Suhrkamp im neuen Design von Willy Fleckhaus präsentiert wurden! Die glänzend kaschierten hochweißen Umschläge trugen einen leuchtend farbigen Streifen, der das ganze Buch umschlang, die Typografie für Autor, Titel und Reihenbezeichnung hatte der Gestalter unprätentiös am linken Rand aufgereiht. Alle Autoren bekamen unabhängig von Rang und Namen dasselbe Design – auch dieser grafik-demokratische Ansatz war, in dieser Konsequenz, neu. Mit dieser Reihe wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Buchgestaltung aufgeschlagen. Die gelblich-braunen kalligrafischen Umschläge der 1950er Jahre gehörten damit der Vergangenheit an. Ein klug konzipiertes grafisches Rezept, das einfach von der Herstellungsabteilung des Verlages anzuwenden war, hatte die individuelle künstlerische Umschlagzeichnung abgelöst. Und das Strahlen setzte sich fort: auf den Gesichtern der Leser, der Buchhändler und nicht zuletzt auf dem des Verlegers Siegfried Unseld. Denn eben erst hatte er die Verlagsleitung vom verstorbenen Peter Suhrkamp übernommen und mit der Neugestaltung dieser für das Haus so wichtigen Reihe ein erstes eigenes und deutliches Signal gesetzt. Und dabei hatte Unseld auch gezeigt, dass er das grafische Ausnahmetalent von Fleckhaus erkannt hatte und es zum Nutzen des Verlages einzusetzen wusste.
Die Bibliothek Suhrkamp war nur der Auftakt zu einer legendären und von vielen Erfolgen begleiteten Zusammenarbeit. Das 1963 vom Lektorat bei seiner internen Vorstellung als »ostereierfarben« geschmähte Design von Fleckhaus für die neue Taschenbuchreihe editionsuhrkamp war der nächste, noch größere Triumph. Und der Verleger bewies großen Mut und gutes Gespür, als er die Reihe, die als »Munitionspark« der Linksintellektuellen in den 1960er und 70er Jahren Furore machte, gegen alle Vorbehalte am überfüllten Taschenbuchmarkt platzierte. Es folgten weitere Reihen, darunter suhrkamp taschenbuch, suhrkamp taschenbuch wissenschaft und insel taschenbuch – und alle fanden bei Buchhändlern und Kritikern, bei Autoren und Lesern großen Beifall. Darüber hinaus schuf Fleckhaus für die Neuerscheinungen individuelle, oft rein typografische, aber umso kraftvollere und bis dahin ungesehene Buchumschläge. Denken wir heute an die Bücher von Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Martin Walser oder Theodor W. Adorno, die diese Zeit mit ihren Texten geprägt haben, dann haben wir sie unweigerlich in der von Fleckhaus entworfenen Form vor Augen.
Was Unseld und seine Mitarbeiter mit dem stetig an Qualität und Quantität wachsenden Programm des Verlages leisteten, wurde von Fleckhaus prägnant und adäquat verpackt. So entstand in wenigen Jahren das, was George Steiner 1973 treffend die »Suhrkamp-Kultur« genannt hatte. Dabei war die Zusammenarbeit zwischen Verlag und Gestalter nie einfach, es gab heftige Reibereien, wenn »Deutschlands teuerster Bleistift«, wie er von Kritikern und Neidern genannt wurde, wieder einmal nicht nachgab bei Änderungswünschen an seinen Entwürfen. Aber Reibung sorgt für Hitze und nichts von dem, was da entstand, war lau. Als Fleckhaus am 12. September 1983 auf seinem Anwesen in der Toskana überraschend einem Herzinfarkt erlag, hinterließ er nicht nur einen beeindruckenden Beitrag zur Geschichte des Buch- und Magazindesigns, sondern auch ziemlich große Fußstapfen. Seine drei Assistenten teilten die Kunden unter sich auf, Hermann Michels übernahm fortan und bis heute die Gestaltung für Suhrkamp.
Die Romane des Jahrhunderts erschienen 1999 mit einem bereits 1971 von Fleckhaus für die suhrkamp taschenbücher vorgeschlagenen Design. Damals war es abgelehnt worden und wurde nun, 28 Jahre später und nur wenig modifiziert, wieder aufgewärmt. Schon dieser Griff in die Mottenkiste zeigte, dass es dem Verlag an neuen Ideen mangelte.
Und als der von der Pop Art inspirierte Auftritt des suhrkamp taschenbuchs mit der schmalfetten Times als Schrift, den charakteristischen Farbenpaaren und den vignettenartigen Bildern in die Jahre gekommen war, entwarf Michels 2004 – nein, nichts neues – sagen wir besser etwas anderes. Unter Fleckhaus’ Ägide war das Erscheinungsbild des Suhrkamp Verlags geprägt von wenigen Schriften, klar strukturierten Layouts, eng an- und ineinandergeschobenen Typen, guter Fotografie und konzeptionell fundierter, intensiver Farbigkeit. Gegen diese eingeführte und erfolgreiche Positionierung ließ Michels nun ein fahl-graues, unförmiges Mammut antreten. Der Verriss von Niklas Maak in dieser Zeitung war erbarmungslos: »Es ist der größte aller denkbaren Fehler.« Und zur gewählten Schrift: »Es ist, als würde sich Mercedes-Benz plötzlich einen silbernen Knoten auf die Motorhaube schrauben.« Die Reihe wirkte schon bei Erscheinen müde, unsinnlich und unsinnig. Alles war grau-beige und die Namen der Autoren, die Titel der Bücher wurden stumpf gegen jeden Sinn umbrochen und an- und hintereinander gesetzt. Was man da angeboten bekam, schmeckte wie Pappe, machte keine Lust und vielleicht wollte man es trotzdem lesen, aber anschließend sicher nicht zuhause ins Bücherregal stellen. Die späteren farbigen Umschläge im selben Layout machten den Fehler nur noch offensichtlicher. Die Kritik wurde vom Verlag lange ignoriert, man hatte sich offenbar entschieden, das schon bei der Bestallung tote Pferd noch lange zu reiten. Etwa 2016 hatte man ein Einsehen und hat diese Reihengestaltung beerdigt. Dann folgten einige Jahre Einbände, die teils farbige Schrift auf verschieden farbigem Grund zeigten. Man möchte es nicht als Teil eines Konzepts begreifen, dass die Titel dieser Bücher nach jedem Wort umbrochen wurden, aber man hat sich offenbar auf eine zu große Schrift mit zu wenig Prägnanz festgelegt. Fleckhaus war mit seinem Konzept von 1971 eine Symbiose von Form und Inhalt mit plakativer, großer Schriftwirkung und starkem Markencharakter gelungen. Der Betrachter spürt, dass man das zu Wiederholen versucht hat, aber bei Umbrüchen auf dem Cover wie »Martin / Walser / Das / Schwanen- / haus«, »Erica / Pedretti / Die / Zer- / trümmerung / von dem / Kind / Karl« oder »Michel / Butor / Paris-Rom / oder / Die / Modifikation« müsste optisch eine sehr besondere Form entstehen, damit das Zerbrechen des Inhalts gerechtfertigt wäre. So eine Form entsteht nicht und auch die gewählten Farbkombinationen und die dürre, leicht gesperrte Schrift tragen nichts zum Gelingen bei. Das von der gescheiterten vorherigen Reihengestaltung übernommene Stürzen des Verlagsnamens auch auf diesen Covern gerät zum unheilvollen Omen.
Ging man nach diesem eklatanten Fehler mit den anderen Reihen klüger um? Betrachtet man Ausgaben der Bibliothek Suhrkamp aus den letzten Jahren muss man diese Frage mit Kopfschütteln beantworten. In drei Formaten gibt es sie jetzt: in der ursprünglichen Größe, noch einmal in deutlich größerem Format und als Print on demand-Taschenbuch, alle drei nur noch klebegebunden. Die farbigen Streifen laufen seither also auf drei unterschiedlichen Höhen und über teils runde und eckige Buchrücken. Damit ist die Markenblockbildung im Handel oder heimischen Regal passé. Weil der Markt es fordert, versucht man Bilder in den strengen Aufbau zu integrieren, aber man wagt nichts. Statt des strahlend weißen, cellophanierten Umschlags ist man zu cremefarbenem Büttenpapier mit aufgerasterten monochrom gedruckten Bildern übergegangen, die blass unter der Schrift liegen – alles so lahm, so lau. Peter Suhrkamp hatte diese Reihe positioniert als eine »Liebhaberbibliothek für eine Leser-Elite«. Angekündigt worden war die Neupositionierung der Reihe 1959: »Dem bloßen Konsumgut soll das dauerhafte, innen wie außen schöne und moderne Buch gegenübergestellt sein. Solche Bücher bilden den Kern einer Bibliothek der Moderne.« Der von Fleckhaus entworfene, strahlend weiße und bei Erscheinen avantgardistische Umschlag, der einst im Handel kathartisch gewirkt hatte, wird in der heutigen Form karikiert. Die Avantgarde frisst ihre Kinder.
Die einzigartige Regenbogenreihe edition suhrkamp steht bis heute in einigen traditionellen Buchhandlungen nebeneinander im Regal, nicht einsortiert nach den Namen der Autoren zwischen den Büchern anderer Verlage. Doch nein, das ist nicht ganz richtig, denn so werden nur die früheren Ausgaben gezeigt und angeboten – vermutlich als sentimentale Reminiszenz an eine große, eine bessere Zeit. Angekündigt worden war die Reihe zum Erscheinen 1963: »Die ›edition suhrkamp‹ leistet sich Luxus und Leidenschaft einer Linie.« Damit begegnete der Verlag der Kritik von Hans Magnus Enzensberger: »Den Luxus einer ›Linie‹, einer wie auch immer gearteten Ansicht von der Welt und der Literatur, leisten sich die Programme der Taschenbuchverlage nicht mehr. Sie unterscheiden sich voneinander eher wie die Automodelle zweier Marken in derselben Saison: durch Geschmacksnuancen, denen geistige Bedeutung zuzulegen man zögern darf.« Noch bevor die Reihe erschienen war, wurden deren Programmatik und Design von Georg Ramseger in der Welt begeistert begrüßt: »Hier triumphiert die Moderne. Hier triumphiert die junge Generation. Hier triumphiert eine selbstbewußte, geschlossene Equipe (…) Hier ist wirklich Neues geschehen.«
Beim Erscheinen der Reihe trugen die Taschenbücher das bekannte Design noch auf Umschlägen, um diese bei Widerständen gegen die plakative Farbigkeit einfach abnehmen zu können. Darunter war das gleiche Design, jedoch schwarz gedruckt auf hellgrauen Karton. Der anhaltende Erfolg der Reihe wischte diese Bedenken dann mit Band 355 beiseite: Manfred Riedel. Studien zu Hegels Rechtsphilosophie war das erste Buch der Reihe ohne Umschlag.
1979 benannte Suhrkamp die Reihe um in edition suhrkamp. Neue Folge. Die Presse befürchtete eine Nivellierung der programmatischen Ausrichtung, zumal der Lektor der Reihe, Günther Busch, Suhrkamp just zu diesem Zeitpunkt verließ. Das noch durch Fleckhaus selbst modifizierte Design wurde erstmals mit dem Band 1000, Jürgen Habermas (Hrsg.): Stichworte zur »Geistigen Situation der Zeit«, sichtbar. Der Aufbau aus Linien und Schrift wechselte vom Fuß des Covers in den Kopf und die Titelei wurde nicht mehr linksbündig, sondern zentriert gesetzt. Nicht mehr von Fleckhaus autorisiert war hingegen die neuerliche Veränderung ab Band 2000 im Jahr 1997. Die Namen der Autoren oder die Titel der Bände wurden deutlich größer gesetzt, in manchen Fällen auch beides. Bei diesen Ausgaben ragten dann mal die Unterlängen des vergrößerten Autorennamens über die darunter liegende Linie, mal nicht. Waren keine Unterlängen im Namen, wurde die Linie darunter hochgeschoben – oder auch nicht –, manchmal standen die Namen mit auffällig viel Raum ober- und unterhalb zwischen den Linien. Und wenn Unter- und Oberlänge ineinanderliefen, schien das keinen zu stören. Manchmal wurde auch die sonst übliche Linie zwischen Autor und Titel weggelassen. Dann wieder wurden Autoren nicht auf dem Cover genannt. Bei Sonderdrucken wurden zusätzlich kursiv gesetzte Schriften eingesetzt. Mal wurden Ligaturen verwendet, mal nicht, Bindestriche wurden statt Halbgeviertstrichen (00–00) bei Zeiträumen gesetzt. Auf solche und viele andere Details, auf eine konzeptionelle, grafische und typografische Konsequenz wurde keine Rücksicht mehr genommen. Eine Sensibilität, handwerkliches Können, typografisches Wissen war in der Herstellungsabteilung offensichtlich nicht mehr vorhanden. Zum 40. Jubiläum der edition suhrkamp erschien 2003 eine Sonderedition, programmatisch gemischt aus Klassikern der Reihe und Neuerscheinungen. Die Einbände waren weiß mit einfarbiger Schrift, am Fuß zog sich ein farbiger Sockel um die Einbände. Farbige Bänder, die sich horizontal um den ganzen Buchkörper schlingen, waren und sind eigentlich das Markenzeichen der Bibliothek Suhrkamp. Zumindest der eingesetzten Schrift, der Amsterdam Garamond, war man bis zu diesem Zeitpunkt treu geblieben. Aber die Pflege der Marken des Verlages scheint schon zu diesem Zeitpunkt mehr Last als Lust gewesen zu sein. 1963 hatte Fleckhaus seine grafische Idee für diese neue Reihe so formuliert: »Ich sehe ein endloses Band, […] selbstverständlich wie die Natur, präzise und schön.« Der Regenbogen im Regal, das endlose Band, wurde ausgerechnet zum Jubiläum erstmals und deutlich unterbrochen.
Seit 2002 erscheinen aber auch vereinzelt Cover in der edition, die sich komplett vom grafischen Konzept der Reihe verabschiedet haben und das mit äußerst lustlos wirkenden Ergebnissen. Bei einem Teil der Bücher sollen Schutzumschläge um die Taschenbücher, die das typische Design der Reihe auf dem Einband darunter verdecken, die offensichtliche Ratlosigkeit des Verlags in Gestaltungsfragen bemänteln. Der Band Sozialistische Cowboys – der Wilde Westen Ostdeutschlands von Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer aus 2006 setzt als Schrift die Futura Condensed bold ein, die Farbigkeit der roten Schrift auf dem orangefarbenen Grund erinnert an ein Farbenpaar des suhrkamp taschenbuch, darunter im Anschnitt eine ins Orange sinkende Schwarzweißfotografie eines als Indianer verkleideten Mannes auf einem Pferd vor einer Industriekulisse mit Schloten. Das visuelle Ergebnis ist mit »Ein Kessel Buntes« noch wohlwollend beschrieben. 2008 erscheint von Bernd Cailloux Der gelernte Berliner. In der F.A.Z. beginnt die Rezension von Wolfgang Schneider mit diesen Worten: »Vielleicht sollte man zunächst den Umschlag des Buches rezensieren. Eine offenbar gezielte Mogelpackung.« Schneider bezieht sich dabei nur auf den gewählten Ausschnitt der pixelig-modernistischen Stadtansicht Berlins, die auch atmosphärisch nicht zum nostalgischen Inhalt passt. Die Typografie wurde ohne Willen zur Form dahin gesetzt, wo sie am wenigsten zu stören schien. Es wundert nicht, dass spätere Auflagen dann im zu diesem Zeitpunkt schon formlosen suhrkamp taschenbuch erschienen, denn die gewählte Optik war schon beim Erscheinen von gestern. Man sieht auch hier den Wunsch, den Forderungen des Marktes nach Bildern auf den Covern gerecht zu werden, aber man findet bei Suhrkamp dafür eben kein überzeugendes Modell. Da wird auf niedrigstem grafischen Niveau experimentiert – im Rahmen der ikonischsten Buchreihe aller Zeiten. Man findet kein Rezept für ein Redesign und auch nicht den Mut, die von ihrem Ruhm vergangener Zeiten zehrende Reihe einzustellen. Es sollte den Verantwortlichen bei Suhrkamp zu denken geben, dass ein Autor wie Rainald Goetz – einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Gegenwartsliteratur, dessen Werk sich durch eine radikale Ästhetik der Gegenwart und eine intensive Auseinandersetzung mit Medien, Popkultur und gesellschaftlichen Systemen auszeichnet – bei seinem 2024 erschienenen Band wrong auf das Ursprungsdesign der Reihe von 1963 bestanden hat. Vielleicht, weil nichts in der heutigen Zeit wertvoller ist als eine radikale ästhetische Konstante, nichts mehr ›Punk‹ hat als das Festhalten an einer Ästhetik, die eine epochenübergreifende Qualität hat.
Doch wie konnte es dazu kommen? Als der Autor die Herstellungsleiterin Dr. Alexandra Stender vor Jahren fragte, wie sie das grafische Erbe von Fleckhaus definieren würde, kam die Antwort ebenso prompt wie eindimensional: »Bunt.« So erklärt sich, warum anlässlich des 50-jährigen Jubiläums das bei Wissenschaftlern geschätzte suhrkamp taschenbuch wissenschaft die eingeschränkte, reihentypische Farbpalette auf dem schwarz-violetten Fond verließ und etwas entstand, das man ohne Übertreibung ein ›koloriertes typografisches Bällebad‹ nennen darf. Bei einem Gespräch in Berlin im Mai dieses Jahres rechtfertigte der Werbeleiter Matthias Reiner, seit 1985 bei Suhrkamp, diesen peinlichen Umstand damit, dass man die Bällebad-Caps und den Baumwollbeutel suhrkamp tasche wissenschaft ja aber doch mit gutem Erfolg verkaufe. Die Trauben hängen nicht mehr sehr hoch im Hause Suhrkamp.
Anlass des Treffens war die Vorstellung von Weiter- und Neuentwicklungen der Fleckhaus’schen Buchreihen. Am Ende der knapp einstündigen Präsentation, bei der fast die gesamte Verlagsleitung zugegen war, blieb es auffällig lange still und die Teilnehmer warteten, dass der Vorstandsvorsitzende der Suhrkamp Verlag AG, Dr. Jonathan Landgrebe (Promotion zu Liberalisierung und Regulierungsmanagement im Telekommunikationsmarkt), das Wort ergreifen würde. Er stand auf und es fiel ihm sichtlich schwer, überhaupt Worte zum Gezeigten zu finden. Dann erläuterte er, dass man im Verlag nicht mehr an Buchreihen glaube. Dass sie eher Ballast seien und der Trend im Markt schon lange weg von der Reihe und hin zum individuell gestalteten Buch gehe. Würde man etwas daran verändern, würde der Markt das nicht akzeptieren und die Reihen wären damit am Ende. Außerdem würden Buchreihen heute im Handel nicht mehr als solche gemeinsam präsentiert werden. Der Autor erwiderte, dass er in den vergangenen Wochen in zahlreichen Buchhandlungen genau dies gesehen habe, aber Landgrebe fuhr unbeirrt fort und argumentierte, dass auch die deutschen Automobilhersteller in China teilweise dazu übergegangen seien, die Markenzeichen auf ihren Produkten zu entfernen. Der Autor war höflich genug, an dieser Stelle nicht zu fragen, was das mit dem deutschen Buchmarkt zu tun habe. Eva Gilmer aus dem Wissenschaftslektorat ging immerhin auf ein Detail der Vorschläge ein und lehnte es vehement ab, überall Untertitel auf Umschlägen und Einbänden der Reihen zu ergänzen. Man würde bei Buchcovern oft bewusst auf die Untertitel verzichten, da der Buchinteressent, wenn er zu viel über den Inhalt eines Buches erfahre, vom Kauf Abstand nehmen würde. Vertrauen in die eigenen Publikationen klingt anders.
Die gesamte Verlagsleitung zeigte sich zutiefst verunsichert von den Herausforderungen des sich ja nicht zum ersten Mal verändernden Buchmarkts. Auch gibt es keine erkennbare Haltung zur Gestaltung von Büchern, nicht einmal eine fundierte Kenntnis des eigenen ruhmreichen Beitrags zur Designgeschichte. Darf man den Berichten glauben, dann ist Suhrkamp erstmals in seiner Historie und seit 2022 ein Verlustgeschäft. Offenbar ist man blind für das, was dieses Haus einst zum wichtigsten deutschsprachigen Literaturverlag gemacht hat: exzellente Texte außergewöhnlicher Autoren in einem sich vom Marktumfeld deutlich abhebenden Design und, nicht zuletzt, der Mut zu Wagnissen.
Wäre der Einband nicht so schauerlich uninspiriert gestaltet, der Satz der Texte nicht ein Ausdruck reinen Unvermögens, man würde der Verlagsleitung den jüngst im eigenen Haus zum Gedenken an Unseld publizierten Band als Lektüre ans Herz legen. Darin heißt es »Zu seiner Lebens- und Schaffensmaxime hat Unseld einen Satz von Ernst Bloch gewählt: ›… mögen wir alle ins Gelingen und seine Mittel verliebt sein und ganz und gar nicht verliebt, sondern auf Kriegsfuß mit dem Scheitern.‹ « Aber diese Empfehlung wäre ja ein Ausdruck von Hoffnung und die lässt man fahren, blickt man kurz vor Beginn der Frankfurter Buchmesse auf die Homepage von Suhrkamp. Dort werden in greller Form Thriller, »Prequells von Bestsellern«, »Die schönsten Buchgeschenke zur Einschulung«, »Vorteilspakete« (früher nannte man das ehrlicherweise »Ramsch«) oder ein »Gratis-Notizbuch zur ersten Bestellung mit Kundenkonto« angeboten. Fingierte Kundenfragen sollen den Besucher zum Wesentlichen führen, die erste lautet: »Die Suche funktioniert sehr gut – ich weiß aber nicht, wie ich Non-Books wie Beutel und Notizbücher in der Navigation finde.« Irritiert liest man die Antwort des Verlags: »Vielen Dank! Non-Books und Accessoires sind im Reiter ›Bücher‹ unter ›Empfehlungen‹ zu finden.«
Die Amazonisierung und Netflixisierung von Suhrkamp ist weitgehend abgeschlossen, die »Suhrkamp Kultur« nur noch eine schmerzliche Erinnerung. Im nächsten Jahr sind dann vermutlich Pakete im Angebot mit leichter Sommerlektüre – vielleicht in einfacher Sprache? –, mit Sonnenschutz und einem zu bunten Badetuch. Vielleicht schreibt dann jemand an einem heißen Tag mit weißer Sonnenmilch an die staubige Fassade des Suhrkamp Verlags in Berlin die Worte: ENDE LEGENDE.
Carsten Wolff