Die ersten 48 Bänder der edition suhrkamp (1959). © Fleckhaus Now! Designforum

Stimmen

Meinungen und Haltungen,
Lobhudeleien und Schmähungen,
Begeistertes und Entgeistertes

Hier entsteht ein Ort für Äußerungen von Gestaltern und Fotografen, Buchgestaltern und Lesern, Profis und Amateuren. Kurz, für alle, die sich zum Design von Willy Fleckhaus, zur Wirkung seiner Werke, zu Erfahrungen mit einzelnen Büchern oder Heften, die er gestaltet hat, qualifiziert und zugespitzt äußern möchten. Den Beginn wird in Kürze Rob King aus Washington machen, mit dem ich seit zwei Jahren im Kontakt bin und der mir unter anderem schrieb, dass er in der Washington Library eine komplette Sammlung der twen-Hefte entdeckt hat, die er gern studiert, wenn er auch kein Deutsch lesen kann. Das Design von Fleckhaus war und ist offensichtlich international verständlich.

Auch Sie möchten sich hier zu Fleckhaus’ Werk äußern? Literarische Begegnungen beschreiben, die auch mit der äußeren Form des Buches zu tun haben? Oder von persönlichen Begegnungen mit ihm berichten? Dann freuen wir uns auf Ihre Zusendung.

Eine großartige Entdeckung

Rob King, Designer /Washington

Als ich am Pratt Institute in New York Design studierte, sprach niemand über Willy Fleckhaus. Nicht die Professoren und nicht die Studenten. Obwohl ich Kurse über Designgeschichte und Editorial Design belegte, wurde Fleckhaus’ herausragendes Werk in der Diskussion überhaupt nicht erwähnt. Das war Mitte der 2000er Jahre, und die Designkultur in den Vereinigten Staaten stand noch weitgehend im Bann der Postmoderne und ihres Sammelsuriums an historisierenden Bewegungen, die vom Art Déco der 1930er Jahre bis zum Grunge der 1990er Jahre reichten.
Doch schließlich entdeckte ich etwas Wunderbares: Die zeitlose Brillanz der Moderne wartete in der riesigen Bibliothek der Kunsthochschule auf mich, wo ich Bücher fand, die mich mit der rational begründeten Schönheit von Josef Müller-Brockmann, Massimo Vignelli und Lou Dorfsman bekannt machten.
An einem sehr glücklichen Tag in der Bibliothek entdeckte ich das ausgezeichnete Buch von Carsten Wolff aus dem Jahr 1997: Willy Fleckhaus: Deutschlands erster Art Director. Als ich die Seiten umblätterte und Fleckhaus‘ spektakuläre Karriere sich vor mir entfaltete, war ich erstaunt, so viele großartige Beispiele für Publikationsdesign von einer einzigen Person zu sehen – verblüffend geschickte Kompositionen, die auch heute noch, viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, absolut modern aussehen. So begann meine tiefe Bewunderung für Fleckhaus’ brillantes Werk, das ihn in die Riege der größten Designer aller Zeiten einreiht.

Was macht Fleckhaus’ Arbeit so brillant, visuell so kraftvoll und fesselnd?

Am Ende scheint es mir, dass seine Arbeiten eigentlich Studien zu dramatischen Kontrasten sind…
…zwischen positivem Raum und negativem Raum.
…zwischen riesiger und kleiner Schrift.
…zwischen Close-ups und Bildern, die ganze Szenen zeigen.
…zwischen Elementen, die sich an das Seitenraster halten, und anderen Elementen, die das Raster verletzen.
…zwischen Zurückhaltung und Überschwang.

Fleckhaus versteht es, diese visuellen Kräfte in emotional aufgeladene Layouts zu verwandeln, die den Leser beim Blättern stoppen und ihn zum Lesen auffordern.

Fleckhaus’ Design informiert und inspiriert mich auch heute noch bei meiner eigenen Arbeit. Vor kurzem habe ich ein Projekt zur Gestaltung einer Reihe zeitgenössischer Gedichtbände übernommen, und es gab kein Budget für Auftragsfotografie oder Illustration. Ich dachte sofort an Fleckhaus‘ brillantes, minimalistisches Designkonzept für seine Buchreihe Bibliothek Suhrkamp, mit ihrer ruhigen, gediegenen Typografie und dem einzigen Farbband, das jedes Buch visuell kennzeichnet. Ich setzte ein Gestaltungskonzept um, bei dem jeder Band mit mehreren Farbbändern in einer einzigen Farbe versehen wurde. Dies schuf eine schöne visuelle Komposition für jeden einzelnen Titel und sorgte dafür, dass die Reihe auch als Gruppe gut funktioniert – und das alles innerhalb des knappen Budgets. Um es mit den Worten von Mies van der Rohe zu sagen: Weniger ist mehr und eben auch wirtschaftlicher.

Ich freue mich sehr über den Start der Website Fleckhaus Now! Ich freue mich, dass das Werk von Willy Fleckhaus bewahrt und gefördert wird, und ich hoffe, dass seine Entwürfe ein noch größeres Publikum finden – insbesondere in den Vereinigten Staaten. Heute und in den kommenden Jahren können wir so viel von ihm lernen und uns von ihm inspirieren lassen.

robertkingdesign.com

All Round

Hanns Peter Bushoff /München

Anfang der Nullerjahre sah ich in irgendeinem Second Hand-Plattenladen beim Blättern durch die Jazzalben das Cover der PHILIPS twen LP Nr. 5, Max Roach’s Freedom Now Suite, ein Stück ultramodernen Hard Bops mit dem anklingenden Thema des amerikanischen Rassenkonflikts, das 1960 bereits in den USA auf dem kurzlebigen Label Candid erschienen war. Aber, was mich zunächst mehr als die Musik faszinierte, war dieses wahnsinnig gute-Cover! Ein riesiges rotes „S“ auf schwarzem Fond. Dazu in weißer Schrift eine 5, der Albumtitel, der twen-Schriftzug und die Marke PHILIPS. Das fand ich wunderbar radikal, daher kaufte ich mir das Album. Gegen künstlerische Radikalität auf Plattencovern hatte ich gar nichts, im Gegenteil: mich hatte immer schon fasziniert, dass Bob Dylan in den 60ern vier Alben mit Covern ohne Namen und ohne Titel veröffentlicht hatte, eins davon mit einem unscharfen Porträtfoto (Blonde On Blonde, Columbia 1966), eines mit einem naiven, nun wirklich nicht an seinen Urheber Bob Dylan erinnernden Selbstportrait (Self Portrait, Columbia 1970). You had to have balls to do that.
Ich begann ein wenig über PHILIPS twen zu lesen, die Freedom Now Suite hatte bei mir eine Kettenreaktion ausgelöst. Die Zeitschrift twen kannte ich noch aus meiner Schulzeit vom Kiosk – gekauft hatte ich sie mir nicht, dazu war ich zu jung, ich war noch ein Teen, kein Twen. Ich fand weitere twen-LPs mit ähnlich faszinierenden Covern: Ray Bryants Madison, das Spirituals-Album der Staple Singers, Mahagonny von Brecht/Weill. Eine Welt tat sich auf, ich begann peu à peu diese aus 72 Alben bestehende Schallplattenserie zu sammeln. 2009 erschien Lars Müllers schmales Bändchen zur Serie (Philips–twen. Der tonangebende Realismus) und ich entdeckte – Jahre, nachdem ich die twen-Ausstellung im Münchner Stadtmuseum verpasst hatte – den Ausstellungskatalog twen. Revision einer Legende. 2017 kam die Ausstellung Fleckhaus. Design, Revolte, Regenbogen nach München in die Villa Stuck nebst einem wunderbaren Ausstellungskatalog und nebenbei sammelte ich weiter meine twen-Platten. Und das war schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Na klar, die 22 (Esther und Abi Ofarim: Songs der Welt) begegnete einem immer wieder, auch die 40 der „El Condor Pasa“-Incas, aber außer dieser offensichtlichen Verkaufsschlager wurde die Luft schnell sehr dünn. Wo war die Swinging Macedonia, wo Toni Sailer (zugegebenerweise ein eher bescheidenes Machwerk)? Ich brauchte rund 15 Jahre, um alle 72 Alben zu finden und zu erwerben. 2018 lernte ich Carsten Wolff kennen, den ich bis dahin lediglich über seine sachkundigen Beiträge als Autor und Mitherausgeber der beiden erwähnten Fleckhaus-Bücher kannte. Eine Freundschaft entstand, Carsten zeigte mir Fleckhaus-Preziosen und schenkte mir die von ihm mit herausgegebene und recherchierte, schon 1997 erschienene Monografie Fleckhaus. Deutschlands erster Art Director. Ich las und forschte mich also chronologisch rückwärts durch die Fleckhaus-Historie.

Max Roach: Freedom Now Suite
Max Roach: Freedom Now Suite Reproduktion: Fleckhaus Now! Designforum

Meine Fleckhaus-Liebe begann rein visuell – ich bin kein studierter Designer, aber ich hatte immer ein gutes Gespür für Qualität im Design. Inzwischen habe ich über das Studium der Fleckhaus-Literatur, besonders aber über den Kontakt zu Carsten, eine Menge Fach- und Hintergrundwissen erworben. Ich habe meine Kenntnis über Typografie vertieft, über grobkörnige Fotografie, über weiße Räume im Zeitschriften-Layout. Ich habe Bücher über Milton Glaser, Karl Gerstner, Alexey Brodovitch (Wow!) gelesen, auf Facebook ein PHILIPS/twen-Forum ins Leben gerufen, in dem alle 72 Alben der Serie in kurzen Miniaturen vorgestellt werden.

Dieser bahnbrechend radikale Gestalter Fleckhaus brauchte nur einen einzigen Buchstaben um ein prägnantes, avantgardistisches Design zu präsentieren, das noch nach Jahrzehnten spontan überzeugt!

PHILIPS/twen-Forum

Flackhaus-now menu-Item
Flackhaus-now menu-Item